Wer will schon gerne AbGEZockt werden?
Neulich war es soweit: er stand vor der Tür. Der Fremde. Wie er sich unbemerkt angeschlichen hat, weiß bis heute niemand. Doch er stand da, Typ “weich und freundlich“. Was er nicht wußte, nicht wissen konnte: wer um diese Zeit bei mir vor der Tür steht, ohne Anmeldung, ohne Termin, der ist immer eine Störung. Daher hatte ich also leicht gestellte Nackenhaare…
Er wäre eigentlich sofort zu erkennen gewesen – denn so sehen weder Jehovas Zeugen aus noch Mormonen – doch man denkt ja nicht immer gleich an das Böse. – Eine Kommunalwahl gibt’s hier zur Zeit nicht, das war also auch kein Politiker auf goodwill-Tour; außerdem war er für einen Politiker zu schlecht angezogen.
Abgewetzte, speckige Hose, krumme ausgelatschte Schuhe, nicht geputzt. Ein dunkelblauer Parka, wie man ihn vielleicht 1980 einmal getragen hat. Die Haare hätten auch gerne mal wieder einen Friseur erlebt oder doch wenigstens einen Kamm, dem Gesicht hätte ein Sonnenstudio gut getan. Das ganze traurige Bild wurde komplettiert durch eine Umhängetasche, deren Gurt quer über die Brust lief. Ein Fahrscheinkontrolleur? Nicht an der Haustür. – Ein Gaszählerableser? Wir haben kein Gas. – Der Mann vom E-Werk? Der Stromzähler wird automatisch abgelesen. – Gerichtsvollzieher? War nicht zu erwarten. – Ein Bettler und Hausierer? Hmmm… ja, vielleicht ein Spendensammler eher….
Dann fragte er: “Sind Sie Herr Levinson, Dr. Chaim Levinson?” – Eine solche Frage an der Haustür macht mich generell vorsichtig, daher: “Wieso, worum geht es denn?” – Umständlich fingerte er einen Ausweis aus der Gesäßtasche. Das allein war schon mal völlig daneben.
Wie kann man etwas, was man den ganzen Tag an seinem miefigen Hintern spazierenträgt, anderen Leuten unter die Nase halten? “Das geht gaa nix”, würde Bruce Darnell dazu sagen.
Einen Ausweis trägt man in der Brusttasche, so gehört sich das. – Immerhin, es war ein Heino Klein (dieser und alle folgenden Namen sind geändert bzw. erfunden, Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt), er sei im Auftrag des Hessischen Rundfunks unterwegs. Ja, prima, und jetzt? Er bekam ein freundliches Lächeln von mir und ich bat ihn, zur Sache zu kommen.
Er hatte einen Stapel mit Infozetteln im Postkartenformat, ca. 20 Stück, in der Hand. Die Familie Müller? Wohnt hier nicht, hat hier auch nie gewohnt. Eine Frau Dubcek? Einliegerwohnung, bitte einmal um die Ecke, Seiteneingang. Ein Herr Wolfgang Rauter? Wohnt hier schon lange nicht mehr, ist verzogen. – Allmählich wurde es langweilig, ich bin doch keine Auskunftei. Was er denn eigentlich von mir wolle. Nun, er hätte keine Anmeldung über Rundfunkempfangsgeräte von mir… – worauf ich erwiderte, dies sei ja auch so zutreffend, da ich keine “zum Empfang” bereithielte.
Ob ich denn einen Fernseher hätte. Nein. – Okay, meinte er, er selber hätte auch keinen. Schön, eine Gemeinsamkeit; wir philosophierten über Gesellschaft, Informationsversorgung und niveaulose TV-Sendungen, die ich natürlich von Besuchen bei Freuden oder aus Erzählungen alle kenne. Weiter ging’s in seinem Text, ich wußte ja, was nun alles kommen würde: ob ich denn ein Radio hätte.
Nein, auch nicht. – Oh, das sei aber selten. Darauf gab’s nur eine Antwort für Freund Heino: “Ja, Herr Klein, wir sind in vielerlei Hinsicht selten.” Das schluckte er, was bleib ihm auch anderes übrig. Also versuchte er es mit dem nächsten Punkt: “Aber ein Auto fahren Sie doch? Wissen sie, auch ein Autoradio muß angemeldet werden.” – Nein, wir hätten auch kein Auto, wir seien hier so gut versorgt mit öffentlichem Nahverkehr, das würde sich einfach nicht lohnen, und wenn man mal eins bräuchte, dann würde es einem vom Autovermieter vor die Tür gebracht.
Und weil ich gerade in Fahrt war, erzählte ich ihm vom meinen Großvater, der fast sein ganzes Leben lang in Frankfurt gelebt hätte und der niemals eine Fahrerlaubnis überhaupt erworben hätte. Auch dieser Großvater hätte übrigens, wie ich, immer eine Krawatte getragen, jeden Tag, auch zuhause, so hätte halt jeder seinen spleen: kein Fernseher, kein Radio, kein Auto, aber dafür eben Krawatte. Eigentlich wollte ich dann noch von meinem Vater erzählen, der… – aber ich sah, daß Heino Klein, Gebührenbeauftragter des Hessischen Rundfunks, nach Luft schnappte. Also schwieg ich. Es schien ihn leicht zu überfordern.
Es war klar, was er nun als nächstes versuchen würde. Das immerhin machte er nicht ganz ungeschickt: “Also, das habe ich noch nie gehört, Sie haben keinen Fernseher, kein Radio und auch kein Auto? Das ist ja extrem selten.” Ich nickte freundlich, zustimmend, und sah ihn aufmunternd an.
Das Erwartete kam auch, wie aus der Pistole geschossen: “Wie sieht es denn mit Handy aus? Die haben doch heute alle UKW-Radio, außerdem: damit kann man doch auch ins Internet!” – Ich langte in die Brusttasche meines Jacketts, hielt ihm mein uraltes Nokia 7110 (das mit dem Rollrad, bald stolze 10 Jahre alt) entgegen und sagte: “Oh ja, können Sie mir das hier mal zeigen? Ich nutze das nämlich immer nur zum telefonieren.” Mein guter Heino Klein sah mich sprachlos an, mit offenem Mund. So etwas hatte er wohl noch nie erlebt; ich sah ihm an, daß er dachte, er sei wohl im falschen Film, doch er sagte – während er versuchte, mich prüfend anzusehen -ganz tapfer: “Also, ich glaube Ihnen das, natürlich, wenn Sie das sagen…” – Doch da er den Satz als sinnierende Frage verklingen ließ, bekam er selbstverständlich zur Antwort, etwas anderes hätte ich von ihm auch nicht angenommen…
Er holte tief Luft und setzte ganz offensichtlich zu seinem finale furioso an. Er sagte: “Wissen Sie, sie brauchen nur ein Radio anzumelden, da ist dann auch das Autoradio und das Handy mit drin.” Für diese wichtige Information bedankte ich mich höflich und erklärte ihm, das sei mir durchaus bekannt; anschließend wartete ich auf den Einsatz seiner letzten Waffe, der vermeintlichen Wunderwaffe.
Denn die mußte – rein taktisch – jetzt kommen. Und so war es auch: “Wieviele PC oder notebooks haben sie eigentlich?” So harmlos wie möglich antwortete ich: “Keine.” – Er klappte den Mund auf und zu wie ein Fisch auf dem Trockenen, wurde abwechselnd blaß und rot. So verbindlich wie möglich schob ich daher nach: “Wissen Sie, Herr Klein, ich bin Philosoph. Ich brauche das alles nicht, ich habe meine Bücher, meinen Kopf, Papier und Schreibwerkzeug. Das genügt mir. Außerdem höre ich sehr gern klassische Musik, ich habe eine riesige Sammlung alter LP aus den 70er Jahren.”
Heino Klein taumelte leicht, faßte sich dann aber, und sagte leicht stotternd: “Na gut, wenn sich bei Ihnen was ändern sollte, hier lasse ich Ihnen eine Veränderungskarte da, ich fülle sie Ihnen auch gleich aus…” Ich meinte dazu nur, demonstrativ auf die Uhr sehend, ich müsse jetzt zu einem Termin, er könne mir die Karte ruhig auch blanko da lassen, ich verstünde mich aufs Lesen wie auch aufs Schreiben… Ich verabschiedete ihn also freundlich und schloß die Tür, natürlich nicht, ohne ihm einen angenehmen Arbeitstag und noch weiterhin viel Erfolg zu wünschen.
Noch drei Stunden später – es wurde langsam schon dunkel – sah ich ihn ziellos und offenbar etwas verstört durch unser Viertel laufen, kreuz und quer. Er sprach mit sich selbst und wirkte nicht sehr glücklich. Aber so hat eben jeder seine eigenen Probleme.
Quelle : Onlinezeitung24/Chaim