Einschlafprobleme
Wenn der Sandmann auf sich warten lässt
Der Mensch verschläft rund ein Drittel seines Lebens. Nahezu 3.000 von den 8.760 Stunden eines Jahres, rund 24 Jahre im Durchschnitt eines menschlichen Lebens. Probleme mit Schlaf treten sehr häufig auf. Bis zu einem Viertel der Schweizer Bevölkerung leidet unter anhaltenden Ein- und Durchschlafstörungen sowie nicht erholsamem Schlaf (Insomnie).
Und doch sind die Schlafforscher bis heute nicht in der Lage, eine allseits anerkannte Definition des Phänomens “Schlaf” zu geben. Das gleiche gilt für die Mehrzahl der neuroanatomischen, physiologischen und biochemischen Hintergründe von Schlaf und Schlafstörungen, obgleich es immer wieder Meldungen gibt, dass jetzt endlich das Schlafzentrum oder der entscheidende Schlafstoff im Gehirn gefunden werden konnte.
Schlecht einschlafen, nicht durchschlafen, morgens zu früh aufwachen. Besonders betroffen sind Menschen ab dem 50. Lebensjahr. Fachleute schätzen, dass zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung in den Industriestaaten unter einer Schlafstörung leiden.
Stress der Schlafkiller Nr.1
Mal eine Nacht nicht gut oder gar nicht zu schlafen, ist in der Regel kein Problem. Zwar spürt man die Folgen wie Müdigkeit, Erschöpfung und Dünnhäutigkeit gleich am nächsten Tag, aber gesundheitlich schädlich ist das noch nicht. Als Orientierung, wann man mit einer Schlafstörung zum Arzt gehen sollte, dient die sogenannte Dreierregel: Wer öfter als dreimal pro Woche mehr als drei Stunden pro Nacht wach liegt, und das länger als drei Wochen, sollte sich von einem Schlafmediziner untersuchen lassen.
Warum hören Schlafstörungen von alleine nicht auf?
Zu den beunruhigsten Erfahrungen eines Schlafgestörten gehört es, dass seine Schlafstörung völlig unvorhersehbar, unkontrollierbar und scheinbar ohne jede erkennbare Ursache auftritt. In der Psychologie spricht man von einer sog. “Verselbständigung” der Störung. Bei vielen chronischen Schlafstörungen tritt eine solche Verselbständigung schon innerhalb der ersten Wochen auf und dauert dann oft jahrelang an. Von daher ist es wichtig, dass man neben den auslösenden Faktoren wie Krankheiten und Stressfaktoren auch diese verselbständigten Anteile in einer Therapie bei chronischen Schlafstörungen berücksichtigt.
Wie kommt es zur Verselbständigung?
Die Verselbständigung einer Schlafstörung bzw. der Teufelskreislauf, der immer wieder zu schlafgestörten Nächten führt, setzt sich aus verschiedenen psychologischen und physiologischen/körperlichen Faktoren zusammen. Am besten kann man ihn verstehen, wenn man sich in die Situation eines Betroffenen hineinversetzt, der am Abend gerade zu Bett geht oder nachts gerade wach geworden ist.
Für die meisten Patienten ist diese Situation alles andere als unbefangen. Aufgrund der Erfahrung mit den Qualen schlafloser Nächte stellt sich bei ihnen automatisch der Gedanke ein: “Wie wird die Nacht werden? Hoffentlich kann ich schlafen.” Bewusst oder unbewusst sind mit diesem Gedanken weitere Gedanken bzw. vorgestellte Konsequenzen verbunden:
- Ich werde wieder stundenlang wachliegen, grübeln, mich quälen.
- Wie soll ich den nächsten Tag schaffen, wenn ich nicht ausgeschlafen bin.
- Irgendetwas stimmt in meinem Kopf nicht, dass ich überhaupt nicht mehr richtig schlafen kann.
- Wenn es so weitergeht, werde ich krank oder verrückt werden.
- Wenn es so weitergeht, werde ich noch meinen Arbeitsplatz verlieren
- Ich bin nicht mehr derselbe wie früher, weil ich so schlecht schlafe
- Die Schlafmittel, die ich nehme, werden mich abhängig machen.
Diese Gedanken lösen unmittelbar negative Gefühle wie Misstrauen, schlechte Stimmung, Angst, Anspannung aus. Bei vielen Patienten ist diese Kopplung aus Gedanken und Gefühlen so eingeschliffen, dass sie auf die Frage “Gehen Sie noch gerne ins Bett?” allenfalls mit “Jain”, viele aber auch mit einem klaren “Nein, das Bett ist für mich ein Ort des Schreckens geworden” antworten.
Körperlich führen diese Gefühle zu einem Erregungsanstieg bzw. zu einer Zunahme von Wachheit. Diese körperliche Reaktion erleben viele Patienten in der Form, dass sie todmüde zu Bett gehen, dann aber plötzlich hellwach sind. Andere körperliche Reaktionen können sein: Angespannte Muskeln, Herzklopfen, Schwitzen, gedanklich nicht abschalten können, Grübeln (das nächtliche Grübeln dreht sich nicht unbedingt um tatsächliche Probleme, häufig sind es Banalitäten, um die die Gedanken zwanghaft kreisen).
Die Konsequenz aus dieser Reaktionskette von Gedanken, Gefühlen und körperlicher Reaktion ist die erneute Erfahrung von Schlaflosigkeit und diese Erfahrung löst dann spätestens am nächsten Abend wieder erneute Gedanken wie oben beschrieben aus. Man dreht sich verzweifelt im Kreis und kommt nicht heraus.
Als Folge dieser anhaltenden Schlaflosigkeit beginnen viele Patienten Verhaltensgewohnheiten zu verändern, um irgendwie mit der Schlafstörung klar zu kommen. Oft handelt es sich dabei aber um Verhaltensänderungen, die zwar kurzfristig eine Linderung bringen (z.B. am Wochenende morgens länger im Bett liegen bleiben), die langfristig aber zu dem Teufelskreislauf beitragen.
Gewohnheiten, die zur Aufrechterhaltung der Schlafstörung beitragen
- Man geht früher bzw. zu unterschiedlichen Zeiten zu Bett, um jeweils den richtigen Müdigkeitspunkt abzupassen: Unregelmäßige Zubettgehzeiten instabilisieren unseren inneren biologischen Rhythmus, der auch unser Schlafen steuert. Der Körper kann sich als Folge nicht auf einen festen, quasi vertrauten Zeitpunkt einstellen.
- Man steht – insbesondere am Wochenende – später auf als sonst üblich. Viele Patienten können häufig erst in den frühen Morgenstunden überhaupt in den Schlaf finden, von daher ist es sehr verständlich, dass sie das Wochenende nutzen, um dann länger zu schlafen. Ähnlich wie bei der wechselnden Zubettgehzeit wird hierdurch der biologische Rhythmus durcheinandergebracht. Die Folge ist: Insbesondere in den Nächten von Sonntag auf Montag und Montag auf Dienstag treten Schlafstörungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf als sonst.
- Kurzschlafphasen am Tage: Um den mangelnden Schlaf in der Nacht auszugleichen, legen sich viele – insbesondere ältere Patienten – tagsüber hin. Auch wenn die meisten berichten, dass sie während dieser Zeit gar nicht richtig schlafen, allenfalls nur dösen könnten: Solche Ruhephasen am Tage tragen zu einer Reduzierung des Schlafdruckes und damit zu Schlafstörungen bei.
- Kurzes Einnicken vorm Fernseher: Bei einigen Patienten mir chronischen Schlafstörungen kommt es vor, dass sie öfters am Abend vorm Fernseher für wenige Minuten einnicken oder eindösen. Diese häufig nur sehr kurzen Momente reichen aus, um den Schlafdruck erheblich zu reduzieren und direkt Ein- oder Durchschlafstörungen zu verursachen.
- Alkohol als Schlafhelfer: Viele Patienten helfen der nötigen Bettschwere mit einem oder zwei Glas Wein (oder sonstigen alkoholischen Getränken) nach: Tatsächlich verbessert Alkohol das Einschlafen, aber schon relative geringe Mengen Alkohol führen zu einer erheblichen Störung der zweiten Nachthälfte.
- Lange Bettliegezeiten: Um genügend Schlaf quasi “zusammenzukratzen” verbringen Schlafgestörte häufig überdurchschnittlich viel Zeit im Bett. Da sie einen Großteil der Zeit wachliegen, grübeln, sich ärgern, kommt es zu einem verhängnisvollen “Lernprozess”. Während für einen gesunden Schläfer das Schlafzimmer und Bett ein “angenehmer Ort” der Erholung sind, wird für viele Schlafgestörte Menschen das Bett zum Ort des Schreckens: statt mit angenehmen Schlaf ist das Bett mit unangenehmen Wachliegen, Grübeln, Sorgen usw. verbunden. Es sind diese sich im Laufe langer Jahre allmählich verfestigenden Assoziationen, die mit dazu beitragen, dass ihr Körper schon mit einer entsprechenden Anspannung reagiert, wenn Sie z.B. tagsüber an die kommende Nacht denken oder sich am Abend zu Bett begeben.
- Aus Sorge nicht genügend Schlaf zu bekommen, wird in der Nacht immer wieder kontrolliert, wie spät es ist. Der Blick auf den Wecker und das Ausrechnen, wie viel Stunden einem noch bis zum Aufstehen verbleiben, führt dazu, dass die Unbefangenheit gegenüber dem Schlaf verloren geht.
- “Schonhaltung am Tage”: Wegen der ständigen Müdigkeit, aber auch um am Abend die richtige Ruhe zu finden, beginnen viele Schlafgestörte tw. schon am Tage, insbesondere am Abend immer weniger Freizeitaktivitäten nachzugehen. Hobbies und soziale Kontakte werden mehr und mehr vernachlässigt, das gesamte Aktivitätsniveau nimmt ab. Die Folge ist ein weiterer Teufelskreislauf aus zunehmend verminderter Lebensqualität und Unzufriedenheit bis hin zu Depressionen und Vereinsamung, was sich weiter negativ auf den Schlaf auswirken kann.
Zwei Arten von Schlafstörung
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Ein- oder Durchschlafstörungen, die aufgrund der kurzen Schlafzeit zu einer ungenügenden Erholung führen, und dem „nicht erholsamen Schlaf“ trotz ausreichend langer Schlafzeit.
Neben Ein- oder Durchschlafstörungen kann auch krankhaftes Schnarchen zu Schlafstörungen führen. Dr. Tillmann Müller erklärt uns, wieso Schnarchen ausserdem gefährlich sein kann: Es wird die Lebenserwartung verkürzt, je stärker ein krankhaftes Schnarchen ausgeprägt ist. Bildlich gesprochen: Wenn Sie über mehrere Monate und Jahre jede Nacht zehnmal pro Stunde oder mehr für jeweils 10-30 Sekunden im Schlaf gewürgt würden und keine Luft bekämen, dann liegt es auf der Hand, dass Ihr Körper in einen Daueralarmstress umschaltet.
Erste Anzeichen dafür sind neben der Tagesschläfrigkeit ein zunehmender Bluthochdruck und eine insgesamt verminderte Leistungsfähigkeit und Gesamtbefindlichkeit. Konkret heisst das: Wenn jemand das 50. Lebensjahr überschritten hat und jede Nacht mehr als 20 Atemaussetzer pro Stunde hat, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass er seinen 60. Geburtstag feiert, nur bei 50 Prozent. Häufige Todesursachen sind dann der durch den Dauerstress verursachte Herzinfarkt oder Schlaganfall. ”
Schnarchen als Ursache von Schlaftstörungen
Unregelmässiger Schlaf-Wach-Rhythmus:
Wer am Wochenende abends lange ausgeht und am nächsten Tag bis in die Mittagsstunden ausschläft, hat eher Schwierigkeiten, in den Schlafrhythmus des Alltags zu wechseln. Auch bei Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, kann sich der Organismus nicht immer gut an die wechselnden Schlafenszeiten gewöhnen.
Essgewohnheiten:
Schwere Mahlzeiten spätabends oder in der Nacht verhindern einen erholsamen Schlaf.
Andere ungünstige Gewohnheiten:
Dazu zählt etwa langes Fernsehen vor dem Einschlafen, koffeinhaltige Getränke (wie Kaffee, Cola) am späten Nachmittag oder Abend, Lärm in der Umgebung, zu helles Licht im Schlafzimmer (Strassenlaterne, Radiowecker).
Das Immunsystem schlafend auftanken
Stoffwechsel und Kreislauf verhalten sich im Schlaf anders als im Wachzustand. Das ist wichtig für die Gesundheit, denn der Körper verfügt im Schlaf über eine stärkere Abwehr gegen virale und bakterielle Infektionen. Liegt eine Ursache vor, sollte diese natürlich behandelt werden.
Ist dies nicht der Fall, sollte primär eine Aufklärung im Vordergrund stehen. Der Patient sollte über die physiologischen Grundlagen des Schlafes aufgeklärt werden, wie z.B. die Schlafdauer. Auch eine Beratung über Schlafhygiene sollte ein wichtiger Bestandteil eines Gesprächs sein.
Störende Faktoren sollten beseitigt werden
Ein schlechter Schläfer sollte sich nur zum Schlafen ins Bett legen, denn so kann der Körper eine Verbindung zwischen Bett und Schlaf herstellen.
- Die Heizung im Schlafzimmer sollte aus sein bzw. vor dem Schlafen sollte noch einmal gut durchgelüftet werden, damit eine entsprechende Raumtemperatur herrscht.
- Vor dem Schlafen sollte man Alkohol, Nikotin und Koffein vermeiden.
- körperliche Betätigung am Tage.
- Psychotherapeutische Verfahren und Entspannungsübungen.
- Eine Einnahme von Hypnotika (z.B. Benzodiazepine) sollte nur notfalls erfolgen und auch nur unregelmäßig und bei Bedarf, da es zur Gewöhnung oder Abhängigkeit kommen kann.
- Bei leichten Schlafstörungen können auch Baldrianextrakte eingesetzt werden.
Wie sollte ich mich verhalten, um dem Gedankenkarussell zu entkommen und wieder Schlaf zu finden?
Der Versuch, die Gedanken zu stoppen, bewirkt meist das Gegenteil. Besser ist es, zu den eigenen Gedanken eine innere Distanz aufzubauen, etwas abzurücken und die eigenen Gedanken nicht ganz so ernst zu nehmen. Halt wie lästige Bekannte, die einen immer dann besuchen, wenn man sie gerade nicht gebrauchen kann. Sogenannte Achtsamkeitstrainings können helfen, diese innere Gelassenheit einzuüben.
Ausserdem hilfreich:
Abends ein Tagebuch führen, in dem Sie festhalten: „Was war heute schlecht?“, „Was war heute gut?“ und „Was muss ich morgen bedenken?“. Das reduziert den Einfluss der Tageserlebnisse auf das vegetative Nervensystem und kann helfen, nachts besser abzuschalten. Und wenn alles nicht hilft und die Gedanken trotzdem hartnäckig kreisen: Licht an und zum Beispiel durch Lesen ablenken.