Wird Günter Wallraff bald Undercover-Leiharbeiter?
Der verdeckte Ermittler Günter Wallraff (67) könnte demnächst als Undercover-Leiharbeiter bei einer Leiharbeitsfirma anheuern. Wo ist natürlich geheim, die Firma soll ja nicht gewarnt werden.
Auf einer Podiumsdiskussion “Gegen den Strom” in der kulturellen Begegnungsstätte Hasper Hammer in Hagen (NRW) nahm Wallraff gestern interessiert die Bitte eines Gewerkschafters auf, Wallraff und auch andere Journalisten sollten sich doch mal um die Zustände in der Leiharbeitsbranche kümmern.
Das Unternehmen, das der Gewerkschafter konkret für einen neuen Job Wallraffs im Auge habe, so berichtet ein Autor von Readers Edition
sei ein bekanntes Unternehmen, das angeblich keinen Urlaub und keinerlei Lohnfortzahlung gewährt. Betroffen, so der Gewerkschafter aus dem Publikum seien etwa 15.000 Teilzeitkräfte. Die Firma, so vernahm das staunende Publikum gestern entrüstet, zahle seinen Mitarbeitern in Luxemburg einen Mindeststundenlohn von über 8 Euro, ein paar Kilometer weiter in Deutschlands schöner neuen Arbeitswelt (in Anlehnung an Wallraffs jüngstes Buch “Aus der schönen neuen Welt”) jedoch nur 5 Euro und 11 Cent per Arbeitsstunde.
Mut zu dem Job-Vorschlag für Wallraff hatte der Gewerkschafter gefasst, weil Wallraff zuvor über unhaltbare Zustände in den Leiharbeitsfirmen gesprochen hatte. Die Menschen, arbeitslos, heute gezwungen jede Arbeit anzunehmen, um sich durchzubringen, seien zu bedauern. Er, Wallraff, habe ja immer gewusst: Das ist nur für eine gewisse Zeitspanne. Einer der Schuldigen an der Misere ist für Wallraff Wolfgang Clement, “der inzwischen aus der SPD ausgetreten wurde”.
Während einer Talksendung, so Wallraff gestern, habe er seine gute Kinderstube vergessen und Clement als das bezeichnen müssen, was er sei: nämlich ein Arbeiterverräter! Wie sonst sollte man auch einen Menschen nennen, der erst die Gesetze mit schuf, die Menschen in prekäre Jobs etwa bei den Zeitarbeitsfirmen und nach Beendigung seiner Ministerzeit als Aufsichtsratsmitglied etwa der Firma Adecco saftig profitiere. Ebenso ein Friedrich Merz, der zuletzt in so vielen Aufsichtsräten saß, dass dessen Bundestagsmandat zum Nebenjob geworden sei.
“Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden”, hatte Wallraf den Zuhörern erklärt. Wie der Autor Claus-Dieter Stille von Readers Edition berichtet, habe Wallraff dabei auch über das Allerschlimmste gesprochen, das er bisher in seiner Berufslaufbahn erleben musste.
Das war Wallraffs Angaben zufolge seine verdeckte Tätigkeit als Callcenter-Agent. Die Callcenter hält der Enthüllungsjournalist für “die Seuche unserer Zeit”. Wallraff zeichnet in seinem neuesten Buch “Aus der schönen neuen Welt” ein düsteres Bild von jener Arbeits-Welt.Wallraff: “Das Schlimmste, in diesem Job muss man sich jeden Tag aufs Neue selbst verleugnen.” Länger als ein paar Monate halten das die wenigsten Menschen durch. Kein Wunder, dass die psychischen Erkrankungen in unserer kaputten Gesellschaft zunehmen. Was, so Wallraff, die psychosomatischen Kliniken freut, “die wie Pilze aus dem Boden schiessen.”
Auch müsste heutzutage in vielen Betrieben der Verfassungsschutz ermitteln. Denn dort würde schlimmstens gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstossen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sind wir nicht längst wieder in eine Art gewerkschaftliches Mittelalter zurückgerutscht, wenn man wie gestern hören musste, dass es bereits wieder geheime Gewerkschaftsmitglieder gibt? Wenn deren Mitgliedschaft bekannt würde, verlören sie nämlich ihren Job! Ansonsten werden sie von schmierigen Rechtsanwaltskanzleien herausgemobbt. Mit Werbesprüchen wie diesen: “Wir machen nicht alles, was Recht ist”.
Unglaublich. Aber leider wahr! Nein, so Wallraff zum Schluß, so etwas sei nicht länger hinnehmbar. Die Einführung eines Mindestlohns hält Wallraff für überfällig. Ebenso, meinte der Autor, mache für ihn ein bei den Gewerkschaften angesiedeltes MOBILES EINSATZKOMMANDO Sinn, das von Unrecht betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anrufen könnten. Es müsste mit guten Anwälten und einem Psychologen anrücken.
mit freundlicher Genehmigung GoMoPa